AD(H)S – Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung – ist eine Störung in der neuronalen Entwicklung, die in der Vergangenheit überwiegend mit Kindern und Jugendlichen in Verbindung gebracht worden ist. Man kennt es auch als „Zappelphilipp“-Phänomen. Die allgemeine Vorstellung ist, dass Betroffene nicht stillsitzen können, Probleme mit der Konzentration haben und ihre Aufmerksamkeit bereits durch Kleinigkeiten abgelenkt wird.
Doch dieses Bild hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt – zum Glück. Denn die Hyperaktivität ist nicht bei allen Betroffenen vorhanden und ist nur ein winzig kleiner Teil der Problematik, mit der Kinder, Jugendliche, aber auch viele Erwachsene zu kämpfen haben.
Früher galt ADHS als reine Verhaltensstörung, mittlerweile weiß man aber, dass es sich um eine Entwicklungsstörung in dem Teil des Gehirns handelt, dass für die Selbstregulierung zuständig ist. Impulsives Verhalten, Unruhe, Hyperaktivität und die Schwierigkeit, die Aufmerksamkeit lange auf eine Sache zu lenken, sind die Folge. Zudem weisen zahlreiche Studien darauf hin, dass bei ADHS-Betroffenen ein Mangel z. B. an Dopamin vorliegt. Dieser Neurotransmitter gehört zu den sogenannten Glückshormonen und sorgt neben positiven Gefühlen für die Übertragung von Informationen zwischen den Nervenzellen sowie für den Antrieb und die Motivation.
Wer als Erwachsener denkt, er leide unter ADHS, hat oft einen Marathon an Arztbesuchen hinter sich, bevor er eine Diagnose erhält. Die Diagnose bei Kindern und Jugendlichen ist dagegen recht einfach. Erwachsene aber zeigen häufig andere Symptome, weshalb es schwer ist, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Viele Psychologen und Psychotherapeuten stellen auch schlichtweg nicht die richtigen Fragen oder deuten Symptome falsch. Wer hier nur nach Lehrbuch vorgeht und die oft veralteten und zu kurz greifenden Diagnosebögen abarbeitet, übersieht viele Dinge, unter denen betroffene Erwachsene leiden.
Beginnen wir mit den typischen Symptomen, die allgemein bekannt sind:
Soweit, soweit bekannt. Daneben gibt es aber auch unzählige Symptome, die erst – nicht zuletzt auch durch die Sozialen Medien, in denen ADHS ein großes Thema ist – nach und nach mit der Störung in Verbindung gebracht werden. Dazu gehören Symptome, die mit dem Mangel an Dopamin zusammenhängen.
Jeder Mensch möchte glücklich sein und Glücksmomente erleben. Wer unter einem ständigen Dopaminmangel leidet, verbringt unbewusst einen Großteil seines Lebens damit, diesem Gefühl hinterherzujagen. Sei es durch Essen, Drogenkonsum, Abenteuer für den „Kick“, übermäßiges Scrollen in den Sozialen Medien u. Ä. Betroffene neigen dazu, z. B. sehr häufig immer wieder dasselbe Gericht zu essen, weil es ihnen in der Vergangenheit Glücksgefühle beschert hat. Oder immer wieder die gleiche Musik zu hören. Oder immer wieder die gleichen Serien oder Filme anzuschauen.
Auch auf die Motivation und den Antrieb hat der Dopaminmangel Einfluss. Während Menschen ohne ADHS nach dem Erledigen einer Aufgabe wie Einkaufen, Wäschewaschen, Putzen oder Aufräumen mit einem Dopaminschub belohnt werden, fehlt dies bei ADHS-Betroffenen. Wenn diese Belohnung fehlt, gibt es kaum einen Grund bzw. es fehlt der innere Antrieb, diese Aufgabe zu beginnen und zu erledigen.
Aus diesem Grund gibt es für Betroffene meist auch nur die Kategorien „habe ich Lust drauf“ und „ich muss es erledigen, sonst droht Ärger“. Wenn eine Aufgabe keine dieser Kategorien erfüllt, scheint es unmöglich, überhaupt anzufangen. Es tritt wortwörtlich eine Art von Lähmung ein. Betroffene fühlen sich dabei häufig hilflos und depressiv, denn sie wissen ja, dass sie eigentlich etwas tun müssten. Aber es geht einfach nicht.
Vergesslichkeit ist ebenfalls ein Problem. „Aus den Augen, aus dem Sinn“ ist für Betroffene nicht nur eine Redensart, sondern Alltag. Darum verbringen sie auch Stunden damit, Schlüssel, das Portemonnaie oder andere Dinge zu suchen. Gerade, wenn der Antrieb fehlt, Ordnung zu halten, verschwinden viele Dinge einfach oder landen an Orten, die im Grunde keinen Sinn machen. Die Folge: Stress. Nicht nur wegen des schlechten Gewissens, sondern auch wegen der vielen Zeit, die für Suchen, Verdrängen, Ärgern und Grübeln draufgeht.
Stress bedeutet für viele Betroffene auch eine Überflutung mit Reizen wie Licht, Lärm, Geräusche, Gerüche und Temperatur. Aufgrund der gestörten Selbstregulierung können viele Betroffene etwa sehr schlecht mit Hitze umgehen. Oder mit Situationen, in denen viele Menschen an einem Ort sind, die dann auch noch alle durcheinander reden.
Als Reaktion „zoomen“ ADHS-Betroffene dann automatisch „aus“. Sie schalten sozusagen innerlich ab und nehmen dadurch kaum noch etwas aus ihrer Umgebung wahr. Dieser Schutzmechanismus dient dazu, nicht völlig überfordert zu werden und einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Es fühle sich an wie ein Mangel an Filtern gegenüber der Außenwelt, berichten mir Betroffene häufig.
Frauen haben im Erwachsenenalter nicht selten noch mehr Schwierigkeiten, eine Diagnose zu erhalten. Denn sie haben, im Gegensatz zu vielen Jungen, als Kind häufig gehört „das macht ein Mädchen nicht“. Dadurch haben sie sich vielerlei verschiedene „Tarntechniken“ angeeignet, um ihren inneren Kampf zu verdecken.
Ein weiteres Symptom ist das permanente Wippen mit den Füßen oder das Trommeln mit den Fingern auf dem Bein oder der Tischplatte. Dadurch versucht der Körper, die überschüssige Energie loszuwerden. Auch Zähneknirschen, Anspannen des Kiefers, Haare zupfen, Fingernägelkauen, Knibbeln an der Haut oder das Wiederholen von Geräuschen kann zu den Folgen von ADHS gehören.
Betroffene leiden oft unter Ein- und Durchschlafstörungen, weil sie nicht aus ihrer Grübelschleife herauskommen. Sie neigen dazu, negative Dinge auf sich zu beziehen und verlieren sich im sogenannten „overthinking“, also dem fast schon wahnhaften Durchspielen von (fiktiven) Szenarios. Ein Gedanke wird quasi stundenlang seziert und von allen Seiten beleuchtet, ohne dass die Betroffenen dieses häufig quälende Verhalten beeinflussen können.
Und zu guter Letzt gibt es auch noch das Symptom der „Zeitblindheit“. Wer ADHS hat, nimmt Zeit nicht selten anders wahr als nicht Betroffene. „Nur mal eben Mails checken oder ein Video ansehen“ kann dazu führen, dass Stunden vergehen, ohne dass dies bemerkt wird. Darum haben Betroffene auch Probleme mit ihrem Zeitmanagement, damit, Dinge zu planen und auch damit, pünktlich zu einer Verabredung zu kommen.
Ja! Und zwar sehr viele. Es gibt auch Medikamente, die in bestimmten Teilbereichen helfen können, z. B. was die Antriebslosigkeit angeht oder das wilde Durcheinander an Gedanken.
Auf das Lernen bezogen gibt es viele Techniken und Methoden, die es Betroffenen erleichtern, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren.
Welche tollen Eigenschaften Menschen mit ADHS haben, wie sie sie erfolgreich nutzen können und was das alles mit dem Thema Lernen zu tun hat, erkläre ich in meinem nächsten Blogartikel.
Wenn Sie das Gefühl haben, betroffen zu sein und diesbezüglich Unterstützung zu benötigen, freue ich mich sehr auf eine Nachricht!